Inhaltsangaben/Content notes: Tiere (Wölfe), Mord, Rache
„Na sieh mal einer an. Ich hätte nicht gedacht, dass du so leicht einzufangen bist.“
Er antwortete nicht, hob noch nicht einmal den Kopf, sondern ließ sich weiter von den beiden Typen aufrecht halten, die seine Arme gepackt hielten. Die letzten Tage waren außerordentlich anstrengend gewesen, da war es beinahe eine Wohltat, sich so hängen zu lassen. Und es machte den beiden Kerlen das Leben ein bisschen schwerer. Gut so.
Der Adlige, der mit einem makellosen, glänzenden Rapier vor seiner Nase herumwedelte und seinen Blick vom staubigen Boden auf sich zu ziehen versuchte, kam noch einen Schritt näher. Seine Stimme triefte vor Verachtung, als er ihn erneut ansprach. „Du bist sogar als Mensch nur ein räudiger Köter. Kannst du dich eigentlich selbst riechen? Das ist ja widerlich!“ Er ging einmal um seinen Gefangenen herum. „Abstoßend, wie du hier rumläufst!“ Dann wandte er sich an die beiden Fußsoldaten. „Sorgt dafür, dass er was anhat, wenn ich ihn nachher zum Verhör im Kerker sehe. Hier gelten Regeln!“ Mit einer schneidigen Bewegung drehte er sich um und stolzierte davon.
Für einen kurzen Augenblick verzog der Gefangene verächtlich die Lippen, als die beiden Männer ihn davonzerrten.
„Rede gefälligst“, befahl der Adlige zwei Stunden später in barschem Ton. „Wie viele von euch gibt es noch?“
Im Blick des Gefangenen loderte Hass. Er hatte bisher beharrlich geschwiegen, doch als ihn nun die Faust eines Soldaten in den Magen traf, schnappte er nach Luft und knurrte.
„Ach ja.“ Der Adlige lächelte. „Ich hatte ja fast vergessen, dass ich mit einem räudigen Köter rede und nicht mit einem vernünftigen Menschen. Obwohl du nicht ganz so dumm bist, wie deine Freunde es waren, nicht wahr? Immerhin hast du es geschafft, wegzulaufen.“ Er lachte höhnisch.
Obwohl der Gefangene sich fest vorgenommen hatte, sich nicht reizen zu lassen, loderte bei diesen Worten unbändige Wut in ihm auf. Im Stich gelassen! Nein, er hatte sein Rudel nicht im Stich gelassen. Seine Freunde, seine Familie, waren bereits tot gewesen. Beim letzten Vollmond hatte dieser Mensch sie mit seinen Soldaten dahingemetzelt. Gegen so viele gut gerüstete und mit Piken bewaffnete Männer hatte das knappe Dutzend Wölfe keine Chance gehabt. Er hatte das gewusst. Sie hatten das gewusst. Das Einzige, was ihm geblieben war, war, sie zu rächen.
Und diese Zeit war nun gekommen.
„Wenn hier jemand dumm ist, dann bist du es!“ Er spuckte dem Adligen die Worte förmlich ins Gesicht, der ob des plötzlichen Selbstbewusstseins seines Gefangenen irritiert wirkte. „Wie viele wir sind? Mehr, als du ahnst!“
Die Herausforderung in seinen Worten verärgerte sein Gegenüber sichtlich. Der Mann hob drohend sein Rapier. „Wie kannst du es wagen? Du Kreatur solltest wissen, wo dein Platz ist!“
Der Gefangene lachte freudlos auf. „Kreatur …“ Er sprach das Wort langsam aus, als koste er es auf seiner Zunge, spüre dem Gefühl nach, das es hinterließ. „Weißt du überhaupt, was wir sind?“
Zorn zeigte sich in den Augen des Adligen. Er schnaubte. „Dumme Bauern seid ihr, die sich zu Vollmond in nutzlose Wölfe verwandeln und mein Wild reißen! Aber weißt du was?“ Grinsend beugte er sich herunter und schaute dem Gefangenen mit einem überlegenen Grinsen direkt in die Augen. „Du wirst mir ab jetzt dabei helfen, deine Freunde zu finden, zu jagen …“, er ließ eine kurze Pause folgen, „… und sie ein für alle Mal auszulöschen!“
Das leise Lachen des nun plötzlich völlig ruhigen Gefangenen jagte allen Anwesenden einen Schauer über den Rücken. „Wer jagen will, sollte seine Beute kennen.“ Er zeigte ein gefährliches Grinsen und richtete sich zu voller Größe auf. Die Soldaten wichen unwillkürlich ein Stück vor ihm zurück und beobachteten mit schreckgeweiteten Augen, wie sein Mund sich zu einer Schnauze verlängerte, Fell aus seiner Haut spross und sein Körper sich zu dem eines großen Werwolfs veränderte.
Dann schlug er zu.