Hoffnung

Inhaltsangaben/Content notes: Kinder (Teenager), Tiere (Wölfe)

„Ich muss gar nichts!“
Wutentbrannt stürmte Luisa aus dem Raum und knallte die Tür so fest hinter sich zu, dass ihre Eltern zusammenzuckten.
„Das war … heftig“, meinte Florian ruhig und sah seine Frau an.
„Heftiger als sonst“, bestätigte Cora und nickte nachdenklich. „Worum ging es eigentlich?“ Sie war nach einem langen Arbeitstag gerade erst zuhause angekommen.
Florian verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. „Um die Ungerechtigkeit Erwachsener, die sich erdreisten, einen in die Welt zu setzen und dann auch noch verlangen, dass man Aufgaben übernimmt.“
Cora nickte, ging in den Flur, um ihre Jacke aufzuhängen, und kam dann zu ihrem Mann zurück. „Welche Aufgabe wolltest du ihr denn übertragen?“
Nun grinste er. „Die Hausaufgabe.“ Nach einem halb amüsierten, halb frustrierten Seufzen ließ er sich auf einen Stuhl sinken. „Sie meint, es sei ‚total hirnrissig‘, den ‚Scheiß‘ schon am Freitag zu machen, wenn man doch das ganze Wochenende Zeit hätte.“
Er sah erschöpft aus, fand Cora. Wie lange hatten sich ihre beiden Lieblinge wohl schon gestritten? Sie wusste, dass ihr Mann zum aktuellen Zeitpunkt ohnehin recht reizbar war und sich sehr zusammennahm, um das nicht an seiner Familie auszulassen. Bisher hatte Luisa darauf immer Rücksicht genommen. Tja … dann war es wohl soweit.
„Sie kommt in die Pubertät“, sprach sie ihren Gedanken laut aus, während sie hinter Florians Stuhl trat und begann, ihm die Schultern zu massieren.
„Hmmm“, brummte ihr Mann. Es blieb unklar, ob er damit Zustimmung zu ihren Worten oder ihrer Zuwendung ausdrücken wollte.
Schweigend fuhr sie mit den Händen über Florians Schultermuskulatur, drückte an den Stellen, die ihr verhärtet vorkamen, fester zu und genoss das Gefühl seiner Entspannung und die Ablenkung, die ihr diese Tätigkeit bot.
Doch ihr Mann brachte sie wieder zu dem Thema zurück, dem sie seit Jahren aus dem Weg ging. „Ja. Hört sich ganz nach Pubertät an“, beantwortete er endlich ihre Frage. Dann wandte er sich ihr zu, ergriff ihre Hand und zog sie auf seinen Schoß. „Ich weiß, dass dir der Gedanke nicht behagt“, murmelte er und strich ihr zärtlich übers Haar. „Du hättest sie gern ewig als dein kleines Mädchen behalten. Ich auch, glaub mir.“ Er lächelte.
Sie legte ihren Kopf auf seine Schultern und blickte nachdenklich in die Ferne. „Ich … Es könnte sich so vieles verändern.“ Sie schloss die Augen, als sein leises Lachen tief in seiner Brust vibrierte, und genoss das Gefühl seiner Umarmung.
„Es wird sich vieles verändern!“, bestätigte er. „Sie wird anfangen, auszugehen und viel zu spät nach Hause zu kommen.“
Nun stahl sich ein Grinsen auf ihre Lippen. „Höre ich da väterlichen Neid auf künftige Verehrer?“
„Hm. Ein bisschen vielleicht“, gab er schmunzelnd zu. „Aber ich werde gut auf sie aufpassen, wenn wir gemeinsam unterwegs sind.“
Cora hob den Kopf und sah ihm mit ernstem Blick in die Augen. „Ich bin gespannt, ob sie eher nach mir oder eher nach dir kommt.“
Sanft strich er ihr mit einer Hand über die Wange und nickte. Er wusste genau, was sie befürchtete, was sie sich wünschte. Und trotzdem hoffte er darauf, dass seine Tochter die richtigen Gene geerbt und in Vollmondnächten künftig gemeinsam mit ihm in Wolfsgestalt durch die Gegend streifen würde.

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